Marko Lipuš: Tactics (Kratzungen)
Vernissage: 13. Juni 2013, um 19:00 Uhr
13. Juni – 19. Juli 2013
Marko Lipuš beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Portrait. Am bekanntesten sind seine Portraits der Literaturschaffenden. Mit vollendeter Technik und Feingefühl gelingt es ihm immer, neben dem äußeren Bild des Portraitierten auch seinen Charakter in das fotografische Medium einzufangen. Das besondere Charakteristikum Lipušs Portraits aber, das schon auf den ersten Blick seine Hand erkennen lässt, ist der zusätzliche, auf seine Art sogar gewaltsame Eingriff in das Originalnegativ, bevor er dann in der Dunkelkammer die endgültige Fotografie herstellt. Der manuelle Eingriff, der Kratzungen und Schnitte des Negativs einschließt, ist für den konventionellen Beobachter der Fotografie wahrscheinlich ein unverständliches Vernichten der Originalaufnahme.
Das ist jener Abzug, der trotz Linsenwerk und Transformation durch zweifach verdrehte Projektion nur der relativ unmittelbare Abdruck des Lichts ist, abgeschlagen von der Natur, von der Physis. Zu diesem stellt der Mensch unter dem Eindruck der scheinbaren Wahrheitsliebe und des dokumentarischen Effekts schnell eine Verbindung her. Schon eine zufällige Zerstörung oder ein Verlorengehen der Aufnahme kommt einem wie ein unersetzlicher Schaden vor. Eine absichtliche Vernichtung des Bildes kann aber aus den Tiefen sogar den altehrwürdigen Glauben hervorrufen, dass nämlich den Dingen ihr Geist innewohnt. Denken wir nur an jemanden, der die Fotografie der Person zerreißt, auf die er einen Zorn hegt, oder deren Bild er aus der Fotografie herausschneidet, auf der beide dargestellt sind. Lipušs Zugang geht darüber hinaus, ist das Vernichten der Matritze doch nicht seine Absicht, wohl aber die Umgestaltung des Bildes. Der aggressive Eingriff in das Negativ beschneidet nicht seine Mystik. Er setzt bloß dem Tabu der Unberührbarkeit ein Ende.
Demystifiziert wird vor allem die dokumentarische Objektivität der Fotografie als Medium. Wahrhaftig wird das, was der Künstler unmittelbar mit der Projektion auf das fotografische Papier erschafft. Alle Handlungen vor dem waren ebenso wahrhaftig, doch sind von ihnen nur seichte Spuren übriggeblieben. Nicht einmal Rauch, nur der Geruch danach. Und erst, dass dieses Feuer zu spüren wäre! Kratzer und Lücken zwischen Teilen des Negativs irritieren des Betrachters Träumereien von der nicht vorhandenen Wirklichkeit fernab des kleinen Kameralochs. Jetzt wird er sich noch einer Stufe dazwischen bewusst, die gewöhnlich unsichtbar ist. Er betrachtet nämlich die Vergrößerung des verkratzten, zerschnittenen und wieder zusammengefügten Durchscheinbildes. Interessant ist es, dass durch die Vergrößerung nichts von der ersten Stufe verlorengeht. Anscheinend ist daran die Fähigkeit des menschlichen Hirns schuld, aus Teilen eine Ganzheit zu konstruieren. Dessen bewusst oder nicht, der Autor nützt diese Erscheinung meisterlich aus.
(Vasja Nagy)